Es ist oft ein grundsätzliches Lean-Verständnis in Unternehmen zu beobachten, dass die Werkzeuge einmal eingeführt werden und nach der ersten Umsetzung Wirkung erzielen. Im Laufe der Lean-Entwicklung durchlaufen Unternehmen verschiedene Phasen in denen unterschiedliche Werkzeuge genutzt werden. Nach der jeweiligen Phase der Einführung verlieren Führungskräfte die bereits eingesetzten Werkzeuge aus den Augen. Die Anwendung im Alltag schläft ein, um dann Jahre später wieder neu fokussiert zu werden. Bei den Lean-Werkzeugen handelt es sich allerdings sehr häufig um Routinen, die im Arbeitsalltag verankert werden müssen und nicht einmal eingeführt werden. Sie müssen so lange im Alltag eingesetzt bis sie verinnerlicht wurden. Deshalb ist es extrem wichtig zu lernen, wie diese Routinen schnell und einfach im Alltag etabliert werden können.

Wenn Mitarbeiter ein neues Lean-Werkzeug kennenlernen, wird dieses häufig als Einmal-Aktion oder als „Projekt“ betrachtet. Erst wird etwas im Training versucht, dann wird es in einer Werkstatt ausprobiert. Es funktioniert, vielleicht sogar besser als erwartet. Die Teilnehmer sind motiviert und meinen: „Top! Super Training!“ Mit der Motivation aus dem Training wird die Methode einmal in der Praxis umgesetzt und anschließend im Xing Profil als Fähigkeit dokumentiert. Dieses Werkzeug beherrschen wir. Haken dran.

Leider entspricht dieses Denken weder der Biologie des Menschen noch den Gedanken hinter den Lean-Werkzeugen. Betrachten wir Lern-Mechanismen aus Sport oder Musik, dann ist uns allen bewusst wie viele Jahre Übung benötigt wird, damit jemand zum Profi wird. In der Businesswelt reicht das Lesen eines Buchs oder die Teilnahme an einem Training, damit Führungskräfte und Mitarbeiter Werkzeuge „beherrschen“. Ein Beispiel hierfür sind Unternehmen, die eine Gruppe Ihrer Mitarbeiter für eine Woche zu einem Lean-Training schicken und noch zwei Wochen Beratung für das Soll-Konzept beauftragen. Danach existiert die Erwartungshaltung, dass die Gruppe die Soll-Konzepte ganz alleine zusätzlich zur sonstigen Arbeit im Alltag umsetzt.

Häufig werden die Lean-Werkzeuge dann lediglich checklistenartig in Unternehmensbereichen umgesetzt. Ein Beispiel hierfür ist Wertstrom-Analyse. In vielen Unternehmen in denen ich arbeite, kommt es zu folgendem Dialog:

Externer Lean-Experte: „Wir möchten mit einer Wertstromanalyse beginnen, um einen Überblick Ihrer Prozesse zu erhalten und die Zusammenhänge zu verstehen.“

Verantwortliche Führungskraft: „Wertstromanalyse? Das haben wir schon mal gemacht, brauchen wir nicht schon wieder.“

Lean-Experte: „Können Sie diese bitte aufhängen und mir die Zusammenhänge in den Prozessen daran zeigen?

Verantwortliche Führungskraft: „Da müssten wir erst auf dem Laufwerk schauen, wo wir diese finden. Die letzte WSA ist sechs Jahre her.“

Lean-Experte: „Dann lassen Sie uns diese einfach noch einmal aufnehmen.“

Dabei ist ja genau die Wertstromanalyse ein Werkzeug, das im Alltag benötigt wird. Ein Wertstrom ist erst dann wirkungsvoll, wenn die Verantwortlichen für Verbesserung immer wieder gemeinsam darauf schauen und verstehen, was die Auswirkungen ihrer Aktivitäten auf den Wertstrom und Wertstrominhalte sind. Ein wirkungsvoller Wertstrom ist ein zentrales Element des Shopfloor-Managements auf Werksebene. Dort sind die wichtigsten Informationen im Prozess neben den Kennzahlen visualisiert. Was ist der aktuelle Engpass? Wo liegen die größten Schwankungen und Verschwendungen? Dann wird die Arbeit mit dem Wertstrom zur Routine und nicht etwas, was alle 6 Jahre passiert, wenn eine neue Unternehmensberatung ins Haus geholt wird.

Dies gilt aus meiner Sicht für die meisten Lean-Werkzeuge. Sie sind Werkzeuge, die zur Routine im Alltag werden. In meinem Verständnis teile ich die Werkzeuge in zwei Arten von Routinen:

  • Verbesserungsroutinen
  • Führungsroutinen

Verbesserungsroutinen beinhalten all die Werkzeuge und Vorgehen, die Wirkung in den Prozessen erzeugen. Beispiele hierfür sind die Verbesserungs-Kata, Shopfloor-Management, 5-S, Six-Sigma, Kaizen-Workshops und so viele weitere.

Die Führungsroutinen sind diese, die einer Führungskraft helfen Mitarbeiter weiter zu entwickeln und ihre Ressourcen in der Verbesserung zu steuern. Zu nennen sind hier die Frageroutine, die Coaching-Kata, Hoshin-Management und ebenso Shopfloor-Management.

Damit nachhaltige Wirkung in der Organisation erzielt wird, werden nicht nur eine dieser Routinen benötigt, sondern mehrere. Damit diese im Alltag verankert werden können, darf die jeweilige Routine nicht viel Zeit in Anspruch nehmen. Deshalb müssen die Routinen wirklich verinnerlicht werden. Es stellt sich also die Frage: Wie eigne ich mir möglichst schnell eine neue Routine an und mache sie zu einer Angewohnheit, die ich wirklich beherrsche?