Die heutige Leistung des Unternehmens kommt nicht von ungefähr. Der Kundenauftrag (bzw. die in Fertigungsaufträge überführten Daten) durchläuft ein komplexes Geflecht aus administrativen und operativen Prozessen, bevor der Auftrag an den Kunden ausgeliefert werden kann.

 

Schauen wir uns ein Beispiel hierfür an. Bei unserem Beispiel-Unternehmen wird die Bestellung des Kunden vom Vertriebsinnendienst bearbeitet, ins EDV-System überführt und von diesem in Fertigungsaufträge für die verschiedenen Abteilungen überführt. Hierbei wird jede Abteilung anhand ihrer gesondert gesteuert. Aufgrund der hohen Artikel-Varianz werden die einzelnen Aufträge vom System zu Losen zusammengeführt und eine „optimale“ Auftragsreihenfolge vorgeschlagen. Die Produktionssteuerungsabteilung überführt die Daten in Fertigungsaufträge und erstellt einen Produktionsplan für die einzelnen Maschinen bzw. Abteilungen. Innerhalb der Abteilung treten natürlich tag täglich Probleme auf, so dass der Produktionsplan nicht eingehalten werden kann und die Aufträge anders abgearbeitet werden. Deshalb werden die vorliegenden Aufträge wiederum vom Teamleiter vor Ort (auch Schichtleiter, Vorarbeiter oder Hancho genannt) neu geplant. Hierbei steht natürlich im Fokus, einen minimalen Aufwand (z.B. Rüstaufwand) zu haben. Nach der Bearbeitung auf einer Maschine wird der Auftrag (samt des Materials) auf einen Zwischenpuffer transportiert, wo er auf den nächsten Bearbeitungsschritt wartet. Damit während dieser Zeit der Auftragsstatus stets transparent im EDV-System ist, wird der Fortschritt vor und nach den Arbeitsgängen gebucht. Auf diese Weise wird der Fertigungsauftrag innerhalb der Abteilung von Maschine zu Maschine durchmanövriert, bis er an die interne Logistik und damit an die nachgelagerte Abteilung übergeben werden kann. Dieses ist nur ein Auszug einer Abteilung, der vom prinzipiellen Ablauf auf die anderen Bereiche (bzw. Teil-Wertströme) übertragen werden kann. Die Achillessehne zwischen den Abteilungen sind die Planungsabteilung die innerbetriebliche Logistik, die das Material „höchst flexibel“ und bei Bedarf von A nach B bringt.

 

Dies zeigt, dass die Abwicklung eines Kundenauftrags eine komplexe Aneinanderreihung der Prozesse ist, und zwar Abteilungsübergreifend. Mit zunehmendem Reifegrad der Organisation liegen die „wahren“ Probleme nicht mehr bei einzelnen Prozessen, sondern im Zusammenspiel der Einzelprozesse. Die wahren Probleme liegen sozusagen in den Schnittstellen. Die Reduzierung der Bearbeitungszeit von 58 auf 56 Sekunden/Stück ist natürlich ein Gewinn für das Unternehmen. Wenn die Erfüllung der Lieferzeit und –treue im gleichen Atemzug jedoch durch Bestände zwischen den Abteilungen erkauft wird, steht dies in keinem Verhältnis zu der Reduzierung der Bearbeitungszeit um 2 Sekunden. Dies möchte ich kurz erläutern: Schwankende Durchlaufzeiten und undefinierte bzw. hohe Bestände zwischen den Prozessen sind das Symptom entkoppelter Prozesse. Durch die Steuerung jedes einzelnen Prozesses und das Agieren in Abteilungen werden die Abläufe abteilungsspezifisch optimiert. Zudem treten in den Prozessen Probleme auf, so dass beispielsweise nach einem Rüstwechsel wegen Umplanungen, Materialabrissen oder Chef-Aufträgen vor Beendigung des Loses wieder umgerüstet werden muss. Auf diese Weise entstehen die Bestände. Sie sind sozusagen nur das sichtbare Symptom für all die Probleme, die innerhalb des Wertstroms auftreten. Die Reduzierung der Bestandkosten sieht in manchen Fällen auf den ersten Blick nicht als „riesen“ Hebel auf die Herstellkosten aus, doch lass dich davon nicht täuschen! Im Bestand ist darin all das FireFighting, die Umplanungen und Doppelaufwände vergraben, die zu den hohen Produktivitätsverlusten in allen Abteilungen führen. Durch eine lokale Betrachtung einzelner Prozesse können diese Probleme nicht gelöst werden. Diese Probleme sind nur durch eine gezielte Synchronisierung der Schnittstelle zu lösen – also die Betrachtung des gesamten Wertstroms. Um die o.g. Symptome abzustellen, sprich die Bestände (Bestand = Liegezeit) zu reduzieren, liegt der Fokus der Wertstromoptimierungen auf der Reduzierung der Durchlaufzeit.

Um die Leistungsfähigkeit des Wertstroms zu steigern, musst zunächst der aktuelle Ist-Wertstrom verstanden und ein gemeinsames Bild im Führungskreis über den Gesamtablauf (sprich Rampe zu Rampe; über alle Abteilungen hinweg) aufgebaut werden. Hierbei solltest du den Wertstrom anhand eines konkreten Produktes erfassen, das erleichtert es dir, die Abläufe zu verstehen. Der Ist-Wertstrom wird im Rahmen einer Wertstrom-Analyse analysiert und dargestellt.

Sobald der aktuelle Wertstrom vorliegt, solltest du ihn „lesen“ und verstehen, warum die heutige Durchlaufzeit so lange ist. Hierzu musst du diejenigen Stellen identifizieren, an denen die längsten Liegezeiten vorliegen und die Gründe für die hohen Bestände bzw. langen Liegezeiten herausfinden. Sobald dieses Bild vorliegt, darfst du jedoch nicht gleich in Aktionismus verfallen und all die Probleme direkt abstellen. Zuvor musst du dir unbedingt ein gemeinsames Bild im Führungskreis darüber verschaffen, wie der Wertstrom ablaufen muss, um die Ziele bzw. Kundenanforderungen zu realisieren – und zwar Abteilungsübergreifend! Erst dann, wenn dieses Bild vorliegt und die verantwortlichen Führungskräfte dahinterstehen, können die dafür notwendigen Verbesserungsprojekte identifiziert und der entsprechenden Bearbeitungsart (z.B. Kata-Projekt, Kaizen-Workshop oder Six-Sigma-Projekt) zugeordnet werden. Denn: erst durch die Gegenüberstellung von Ist- und Ziel-Zustand entsteht ein Kontrast und gemeinsames Bild, das es ermöglicht erfolgreiche Verbesserungen zu initiieren!