Beim Versuch, Veränderungsprozesse zu beherrschen, wird auf viele Modelle zurückgegriffen und zwecks besserer Darstellbarkeit häufig auch vereinfacht. Das ist grundsätzlich ein guter Ansatz, um uns ein besseres und schnelleres Verständnis zu ermöglich. Die Kehrseite der Medaille von Standardisierung ist, dass manchmal wichtige Unterschiede zu wenig berücksichtigt werden. Das passiert vor allem und viel zu häufig mit der Annahme, dass Menschen in einem Projekt vom gleichen sprechen und ähnlich ticken.
Wohl jeder Mensch hat schon die Erfahrung gemacht, von anderen nicht verstanden worden zu sein. So kennt man aus der Kommunikationswissenschaft die Erkenntnis: Gelungene Kommunikation ist eine Seltenheit. Allein dem Thema Kommunikation sind unzählige Trainings und Entwicklungsmaßnahmen gewidmet. Und dennoch gelingt es oft nicht, einander zu verstehen. Woran liegt das nun?
Die meisten Menschen bemühen sich sehr darum, von anderen verstanden zu werden. Und es gibt auch diejenigen, denen es egal ist. Aber von denen sprechen wir hier nicht, weil die Change Agents in der Regel sehr zielorientiert arbeiten und daher auch effizient sein wollen. In der Regel versuchen sie die nötigen Informationen noch detaillierter darzustellen und noch transparenter zu machen, wenn sie nicht verstanden wurden. Manchmal funktioniert das – und oft leider auch nicht.
Es ist die Strategie der ZDF-Menschen. Zahlen, Daten und Fakten spielen im Business eine sehr große Rolle und deshalb lieben wir sie. Der Ruf nach Transparenz geht meist einher mit dem Versuch mehr von diesen Informationen anzubieten. Der Projektalltag hat uns inszwischen jedoch gelehrt, dass diese Strategie nur bedingt funktioniert. Es gibt sehr wohl Menschen, die uns besser verstehen, wenn wir mehr ZDF offen legen – aber es gibt leider auch sehr viele, die uns dadurch NICHT besser verstehen. Eher noch weniger.
Im Grunde ist es die simple Erkenntnis, dass Menschen weder gleich, noch standardisierbar sind. Die Individualität jedes Einzelnen sorgt dafür, dass wir einander eher selten verstehen. Stattdessen hören, sehen und emfpinden Menschen nur den Teil, der zu ihren Filtern und ihrer Weltsicht passt. Unsere Wahrnehmung ist oft so stark gefiltert, dass wir Stein und Bein schwören, unsere Realität sei die Richtige. Doch das ist nach neuesten Erkenntnissen der Neurowissenschaften eben nicht der Fall.
Von der bekannten Managementtrainerin Vera Birkenbihl stammt das sog. „Insel-Modell“ (siehe Youtube). Darin stellt sie sehr anschaulich dar, wie gefangen wir Menschen in unseren eigenen Ansichten, Annahmen, Wahrnehmungen usw. sind. Da nun jeder Mensch „in seiner Insel“ lebt, kann er sie auch nicht verlassen – und natürlich auch nicht die Insel der anderen betreten! Und das erklärt auch ganz gut, warum wir selten den anderen wirklich verstehen können. Die Hoffnung und das erklärte Ziel bei diesem Ansatz sind, Brücken zu bauen zwischen den Inseln. Also erst mal die Unterschiedlichkeit wahrzunehmen, zu akzeptieren! und dann Wege des Verstehens zu finden.
Über dieses Modell kommen wir zu der Frage, wie man die Unterschiedlichkeit der Individuen denn nun praktisch in die Arbeit einbaut? Zuerst müssen moderne Veränderer lernen, dass es „viele Inseln“ und damit auch „viele Realitäten“ gibt. Das hat viel mit dem persönlichen Weltbild zu tun und wie sie Situationen, Dinge und Menschen bewerten. Gibt es „Richtig“ und „Falsch“? Nur „den einen Weg“? Digitale Entscheidungen sind in der Logik völlig hilfreich, Null und Eins in der technischen Welt das Fundament. Doch da, wo Menschen miteinander zu tun haben, gibt es eben auch ein „dazwischen“ Die Nuancen anzuerkennen, sie zu lesen und zu interpretieren, seine Handlungen darauf abzustimmen ist die größte Herausforderung im Veränderungsprozess.
Wir haben in den Veränderungsprojekten gelernt, dass die Konzentration auf den Inhalt eines Projekts sicher wichtig ist. Enscheidend für den Erfolg ist aber die Beachtung und der passende Umgang mit den beteiligten Menschen. Sie können das Projekt beflügeln oder eben auch lahm legen. Die unterschiedlichen Persönlichkeiten zu erkennen, ihre Bedürfnisse zu berücksichtigen und passend und angemessen zu kommunizieren, ist also eine wesentliche Kompetenz für moderne Veränderer.
Stellen Sie sich kurz den typischen Macher in einem Unternehmen vor, der sehr stark Zahlen, Daten und Fakten orientiert ist, schnelle Entscheidungen liebt und Dinge vorwärts bringen will. Struktur und Timeline sind ihm sehr wichtig. Also Projektleiter hat er alle Sachthemen im Blick. Nun gibt es in dem Projekt einige Mitarbeiter aus den Fachabteilungen, die sehr viel Wert darauf legen, Entscheidungen im Team zu diskutieren und gemeinsam zu entscheiden. Sie arbeiten seit vielen Jahren auf kollegialer Basis, kennen einander auch persönlich gut und achten auf die jeweiligen menschlichen Bedürfnisse. Harmonie, Gemeinschaft und Emotionen sind ihnen wichtig. Wahrscheinlich kennen Sie solche Konstellationen aus eigener Erfahrung und wissen, dass in solchen Fällen das Projekt sofort knirscht bzw. gar gefährdet ist. Hier braucht es vor allem Menschenkenntnis und Geschick, um beide Positionen unter einen Hut zu bringen.
Natürlich ist das ein polarisierendes Beispiel – aber es soll ja aufzeigen, wozu die Kenntnis von unterschiedlichen Persönlichkeitstypen nützlich ist. Der Umgang mit Verschiedenheit ist also eine wesentliche Kompetenz für erfolgreiche Changeprojekte.
Für diesen Zweck kann man sich ganz unterschiedlicher Modelle bedienen. Wir haben aus Einfachheitsgründen ein sehr verbreitetes Persönlichkeitsmodell genutzt. Dabei stehen die praktische Anwendbarkeit im Alltag und die leichte Erlernbarkeit klar im Vordergrund. Es geht also nicht um „das beste Tool“, sondern um den pragmatischen Nutzen. Und dafür ist Einfachheit wiederum von großem Vorteil.
Mehr zu dem Tool im nächsten Artikel „Persönlichkeitstypen erkennen“.
By Detlef Gumze, 2014